Frühchengeschichte: Emilia, 23 SSW + 3

Dies ist die Geschichte von Emilia. Sie kam mit 23 SSW + 3 zur Welt und ist inzwischen 3 Jahre alt.

Du weißt nie wie stark du bist, bis stark sein die einzige Wahl ist die du hast.

Bob Marley

Alles begann mit dem Wunsch ein Kind zu bekommen. Gesagt, getan. Pille weg und Zack – 3 Monate später begann schon das Abenteuer.

Ich ging sofort aufgrund meines Jobs in ein Beschäftigungsverbot und wir zogen in eine größere Wohnung. Alles verlief super, die Vorsorgeuntersuchungen waren alle top, ich konnte viel schlafen und ging sogar zur Schwangerschaftswassergymastik.


Die Heldin dieser Geschichte

Name
*
🗓

Emilia
18.11.2017
23 SSW + 3
30 cm
640 g

Die Zeit vor der Geburt

Ich fing an meinen kleinen Engel zu spüren und genoss jeden Moment. Bei 19+6 spürte ich sie deutlicher, ich dachte sie dreht sich bestimmt wieder ein bisschen. Ich legte mich früh hin, mein Mann zur Sicherheit auf dem Sofa, da er etwas erkältet war. Nachts wurde ich wach, etwas spürte sich komisch an. Ich ging auf die Toilette und plötzlich kam Blut. Ich schätzte die Menge ab und entschied, sofort meinen Mann zu wecken. Um fünf Uhr waren wir im nächsten Krankenhaus und wurden nach einem kurzen Blick sofort mit dem Krankenwagen notverlegt – Fruchtblasenprolaps. Der Gebärmutterhals war weg, die Fruchtblase hing schon durch.

Nach intensiven Gesprächen mit Chefärzten der Gyn und der Neonatologie wurden uns sehr schlechte Prognosen offenbart. Ich hörte Wörter wie „3% Überlebenschance“ , „Sterbebegleitung“ , „Maximalversorgung erst ab 23+0“ usw.

Trotz aller Bedenken und Risiken habe ich auf die volle Ausschöpfung der medizinischen Möglichkeiten bestanden. Ich konnte und wollte es nicht akzeptieren, dass es vorbei sein sollte.
Ich ließ mir hochdosiert Antibiotika geben, absolute Bettberuhe und Beckenhochlagerung. Immer wieder Wehen, bei der jede die letzte hätte sein können. Durchhalten war die Devise. Aus Minuten wurden Stunden, aus Stunden Tage und letztendlich hab ich es so noch bis 23+3 geschafft.

An diesem Tag kamen die Wehen nach Tagen der Ruhe wieder. Auch die Blutungen setzten wieder ein. Leider sprang an dem Tag die Fruchtblase und unser kleiner Engel hing schon mit dem Kopf sehr weit unten. Es ging nicht mehr und mein Leben war ebenfalls wegen der stark angestiegenenden Entzündungswerte in Gefahr.

Es folgte ein sehr zügiger und emotionaler Kaiserschnitt, bei dem mein Mann bei mir bleiben durfte. Wir hörten nur die Geräusche der Geräte, die Stimmen der Ärzte und sahen schon das Team was uns die nächsten Monate stetig begleiten sollte.

Und dann war sie da! Unser kleines Wunder, 640g auf 30cm.

Die Zeit nach der Geburt

Super Werte für die Woche, wie wir später feststellen sollten. Der Schock an dem Abend war aber einfach zu groß. Sie musste erstmal versorgt werden, wir hörten sie nicht und sie musste sofort mitgenommen werden.

Nach 6 Stunden durfte ich zu ihr. Ich wurde im Rollstuhl zu ihr gebracht und da lag sie. Kabel über Kabel, Photolampe und blaue Flecken am ganzen Körper. Ich durfte ihre Hand halten und konnte es noch gar nicht richtig realisieren.

Die erste Woche war einfach nur ein Überrumpeln mit der Situation. Ich kannte den Chefarzt der Neo ja schon, er kam jeden Tag auf der Wöchnerinnenstation vorbei, um nach uns zu sehen. Einer der Menschen, die mir sehr durch diese Zeit geholfen haben.

Aus meinem Job kannte ich die gängigen medizinischen Fachbegriffe, aber in den kommenden Monaten habe ich einen Crashkurs in neonatologischer Intensivpflege bekommen.

Ich glaube ich muss euch nicht von jedem Hoch und Tief erzählen.

Emilia im Krankenhaus

Emilia kommt endlich nach Hause

Wir lagen 166 Tage auf der Neonatologie, ihr wurde nach 10 Tagen der persistierende Ducutus arteriosus operativ verschlossen, in der gleichen OP wurde wegen eines Ileus eine Ileostomaanlage gelegt, sie war einen Monat beatmet, 3 Monate CPAP, Highflow noch bis knapp zu ihrem ersten Geburtstag rund um die Uhr und nachts noch bis zum zweiten Geburtstag.

Aufgrund ihrer Trinkschwäche ist das Thema Gewicht und Wachstum ein Dauerbrenner bei allen Ärzten.

Wir gingen ausnahmslos jeden Tag ins Krankenhaus, kuschelten bei jeder Gelegenheit so lange wie es auch nur irgendwie ging und sehnten uns nach Zuhause. Es war eine äußerst harte, emotionale und intensive Zeit. Viel Schlimmes, aber auch so viel Gutes ist in dieser Zeit passiert. Heute denke ich noch voller Dankbarkeit an all diese lieben Menschen zurück, die uns diese Zeit dort vor Ort so besonders gemacht haben.

Die Zeit nach der Entlassung bestand aus zuhause bleiben, die Geräte waren nicht sonderlich mobil. Spaziergänge brauchten lange Vorbereitungszeiten, Arztbesuche und Therapien wurden unser Alltag.

Bis zu ihrem ersten Geburtstag haben wir es einfach zuhause genossen. Ein Pflegedienst unterstützte uns mal mehr, mal weniger gut. Nach sechs Monaten mit Pflegedienst hab ich die Versorgung komplett übernommen und mein Mann ging weiter arbeiten. Zum Ende des ersten Lebensjahres kamen dann auch endlich langersehnte Töne. Zwischenzeitlich war nicht klar ob die Stimmbänder Schaden genommen haben. Ich fing schon mit Gebärden lernen an. Habe diese dann als Babysignalsprache umgewandelt.

Das zweite Lebensjahr

Das zweite Jahr war das Jahr der neuen Freiheiten. Die Ileostomaanlage war wieder zurückverlegt und der Sauerstoffbedarf tagsüber weg. Sie bekam eine Brille und kam damit gut zurecht. Erste längere Ausflüge wurden möglich und sie machte enorme Fortschritte.
Wir unternahmen viel, trafen Familie und Freunde. Das Leben wurde unbeschwerter. Der Running Gag des Jahres zwischen mir und meinem Mann: „Aaww sie schläft. Guck mal wie süß. Und das bei 98 zu 101.“ Der Monitor erleuchtete jede Nacht ihr Zimmer.

Kurz vor ihrem zweiten Geburtstag fing sie dann an zu laufen und holte nach diesem einschneidenden Schritt innerhalb von 6 Monaten 12 Monate Grobmotorik auf.

Emilia klettert

Dann kam Corona. Zu dieser Zeit hatten wir an vier von fünf Werktagen Termine wie Therapien, Kontrolltermine oder ähnliches.
Sie bekam zu diesem Zeitpunkt heilpädagogisches Spielen, Physiotherapie nach Bobath und nach Castillo Morales. Plötzlich fiel alles aus, der Bayleys-Test im SPZ, der mich sehr unter Druck gesetzt hat, die Therapien, selbst Kontrolltermine wie in der Augenklinik entfielen. Mein Mann war in Kurzarbeit und zu Hause.

Wir hatten zum ersten Mal seit der Geburt Zeit für uns als Familie. Für uns war es die lang ersehnte Elternzeit die wir nie richtig hatten.
Unserem Engel und auch uns tat die Pause richtig gut. Wir konnten viel verarbeiten und sie auch einfach mal Kind sein.

Emilia heute

Nun ist sie drei Jahre alt.

Alle Geräte sind letztes Jahr abgeholt worden. Wir befinden uns aufgrund ihrer Entwicklung aktuell in Therapiepause und bis auf die Narben, ihre zarte Erscheinung und die monatliche hochkalorische Smoothielieferung erinnert nur noch der Frühchenbilderrahmen an diese Zeit. Die Brille verschwand wieder und endlich wuchsen auch ein paar Haare die länger waren als ihr kleiner Finger. Heute hat sie richtig süße kleine blonde Korkenzieherlocken mit dunkelbraunen Augen.

Wir laufen möglichst barfuß und vegetarisch durchs Leben und genießen trotz der aktuellen Coronabeschränkungen die Natur und Lebensfreude.

Emilia ist eine kleine Künstlerin

Unsere Dauerthemen bei Ärzten und Therapeuten sind immer noch ihre Größe und Gewicht, welches auch in endokrinologischer Kontrolle ist, ihre leichte Sprachverzögerung, wobei dies auch immer besser wird, und ihre schwere BPD in Form eines fies klingenden Hustens, der immer mal wieder auftritt.

Zum Glück ist sie allgemein ein sehr robustes Kind.

Ich lasse mich deutlich weniger verunsichern als noch am Anfang. Gerade was die Essens- und Gewichtssituation angeht bin ich viel entspannter geworden, was sich auch positiv auf unsere Kleine auswirkt.

Die Vergangenheit wird immer zu uns gehören, aber was zählt ist das hier und jetzt.

Sie ist ein absolut offener, herzlicher und mutiger Mensch geworden.

Gerade geht sie zu einer ganz lieben Tagesmutter, bis sie im August als integratives Kind in die Kita kommt. Sie liebt klettern, rennen und reiten.

Emilia auf dem Pony

Auch entwickelt sie sich gerade zu einer kleinen Bastlerin. Schneiden, kleben, knüllen, reißen, malen. Nichts hält sie auf.

Ich sage ihr jeden Tag wie sehr ich sie liebe und wie stolz ich auf sie bin. Auch wenn sie mich aktuell mit ihrer Autonomiephase an meine Grenzen bringt, ist und bleibt sie mein Ein und Alles.

Mein kleiner Engel.

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