Geschichte wiederholt sich nicht? Nun, manchmal wiederholt sich Geschichte doch. Und manchmal endet die Wiederholung mit einem Happy End. Das Happy End in unserer Geschichte heißt Maximilian und ist jetzt schon fast 1 Jahr alt.
Der Held dieser Geschichte
Name
*
🗓
⬍
⚖
Maximilian
25.03.2020
23 SSW + 0
30 cm
620 g
Die Vorgeschichte
Aber fangen wir ganz am Anfang an: Die Freude war groß, als wir Anfang 2019 erfuhren, dass wir Nachwuchs erwarten. Zunächst lief auch alles nach Plan, bis es der werdenden Mama dann eines Tages bei der Arbeit auf einmal schlecht ging. Nach einer kurzen Fahrt mit dem Rettungswagen dann die Diagnose: Fruchtblasenprolaps in der 17. SSW.
Auch danach ging erst mal alles gut – wenn man strenge Bettruhe im Krankenhaus als gut ansieht. Nach 3 Wochen kam dann bei der Mama auf einmal starkes Fieber auf, und das Baby war nicht mehr zu spüren. Die Untersuchung mit dem Ultraschall brachte dann die Gewissheit und den Schock: Es sind keine Herzschläge mehr zu erkennen.
Also wurde die Geburt eingeleitet und aus der werdenden Mama wurde die Mama eines Sternenkindes. Im ersten Moment hatten wir gar nicht die Möglichkeit, das zu realisieren oder gar zu verarbeiten, da auch noch eine schwere Sepsis bei der Mama dazukam.
Irgendwann aber ging es der Mama besser, und wir konnten damit beginnen, das Erlebte zu verarbeiten. Dabei hat uns sehr geholfen, dass es eine Bestattung mit Trauerfeier gab, und auch ein Urlaub in den Bergen gab uns die Zeit, das zu verarbeiten. Wobei das Verarbeiten ein langer Prozess ist.
Wir diskutierten viel und kamen zu dem Entschluss, dass wir es erneut versuchen möchten. Und wir waren überzeugt, dass wir es schnell versuchen möchten, da uns eine erneute Schwangerschaft bei der Verarbeitung helfen würde.
Und tatsächlich klappte es wieder, und im Spätherbst 2019 haben wir erneut eine frohe Nachricht erhalten. Diesmal sollte alles besser werden. Die werdende Mama bekam ein Beschäftigungsverbot, und ruhte sich aus, soweit es ging.
Die Wiederholung
Doch manchmal wiederholt sich Geschichte halt doch. In der 20. SSW kam dann wieder die Diagnose Fruchtblasenprolaps. Und wieder war strenge Bettruhe im Krankenhaus nötig. Wir hofften, dass es diesmal länger als nur 3 Wochen dauern würde.
In der 23. SSW war dann ein Termin mit einem der Neonatologen, der uns über die Risiken und Gefahren aufklärte und uns dabei auch die Lungenreife erklärte. Wir dachten oder hofften zumindest, dass das alles nur Theorie bliebe und wir noch viele Wochen oder Monate die strenge Bettruhe „genießen“ können.
Und schon wieder wiederholt sich Geschichte: Nach 3 Wochen kamen leichte Wehen, die als solche aber gar nicht zu erkennen waren. Es hätten ja auch Rückenschmerzen sein können – nach 3 Wochen im Liegen wäre das nicht verwunderlich.
Es wurde aber nicht besser, und so stand dann ein Umzug in den Kreißsaal an. Und die erste Spritze für die Lungenreife. Zunächst schien es sich wieder zu beruhigen, aber dann, in der Nacht zum 25.03.2020, war dann klar: Wir werden in den nächsten Stunden Eltern!
Maximilian kommt zur Welt
Man kann nicht sagen, dass dann alles ganz schnell ging. Es waren noch quälende Stunden bis in den Vormittag hinein, aber es war klar, dass es kein Zurück mehr gibt. Die Betreuung im Kreißsall war sehr gut, es waren eigentlich immer Hebammen, Pflegepersonal oder Ärzte anwesend.
Aus dem Reanimationsraum nebenan schauten immer wieder weitere Menschen in weißen Kitteln herein. Wie wir später feststellen sollten, waren das die Leute von der Neonatologie, die schon bereit standen. Wir wussten da noch nicht, dass diese Menschen unsere besten Freunde werden für die nächsten Monate.
Sobald es dann tatsächlich ernst wurde und die Geburt bevorstand, kam das Team der Neonatologie mit in den Kreißsaal. Das Zimmer war voll mit Leuten. Und irgendwann kam er dann, unser Maximilian. Der erste Anblick hat seinen Vater kreidebleich werden lassen und fast vom Stuhl geworfen, so klein und verletzlich sah er aus.
Es waren ungefähr 8 Stunden nach der Lungenreife, und dementsprechend schwankten wir zwischen Hoffnung – da es zumindest schon eine Spritze gab – und Bangen – da 8 Stunden nicht wirklich lang sind und eine Spritze auch nicht viel.
Nach der Erstversorgung, noch vor dem Durchtrennen der Nabelschnur, wurde Max dann ins Nebenzimmer gebracht, und das Zimmer leerte sich merklich. Uns wurde gesagt, dass so eine Erstversorgung durchaus eine Stunde dauern kann, dass wir Max danach aber wieder sehen können.
Und so warteten wir. Aus dem Nebenzimmer kamen immer wieder laute Alarme und Gepiepse, was uns fast verrückt gemacht hat. In den nächsten Wochen sollten die Alarmtöne unsere täglich Musik werden.
Nach ungefähr 90 Minuten war es dann soweit: Die Tür zum Nebenzimmer öffnete sich, und heraus kamen… erst einmal ein paar Wägen mit ganz vielen Geräten. Und schließlich auch ein Inkubator, und darin, kaum zu sehen vor lauter Decken und Schutzfolien, lag unser kleiner Held: Maximilian!
Wir waren wohl beide zu erschöpft, um in Panik zu verfallen bei dem Anblick dieses kleinen Menschen. Und so schauten wir ihn uns an, und durften ihn sogar schon berühren. Auch wenn man Angst hat, ihn zu verletzen, ist das ein ganz besonderer Moment. Die Haut bei einem so frühen Frühchen fühlt sich ganz klebrig und dünn an, man denkt, man würde sie abreißen, wenn man sie berührt.
Nach einer Weile haben wir die ersten Fotos von ihm gemacht – oder besser gesagt, eine der netten Pflegerinnen – und schließlich wurde er auf die Neo-Intensivstation gebracht. Wir als Eltern hatten auch noch etwas vor: Die Mama kam in den OP und der Papa ins Bett.
Später am Tag waren wir dann beide zum ersten mal auf der Neo-Intensivstation, und nach der Einweisung durften wir dann endlich zu ihm. Inzwischen war ihm ein Tubus gelegt worden, nachdem nach der Erstversorgung noch der CPAP ausgereicht hatte.
Maximilian auf der Neo-Intensivstation
In den ersten Tagen lernt man erst mal ganz langsam alles kennen. Man führt Gespräche mit den Ärzten und den Pflegenden, hat viele Fragen, und ist vor allem sehr vorsichtig bei allem, was mit dem kleinen Mann zu tun hat. Man hört, welche Diagnosen festgestellt wurden und was das zu bedeuten hat. In unserem Fall waren das unter anderem eine Infektion (die erste von vielen), schwere Lungenprobleme, bronchopulmonale Dysplasie und eine schwere Hirnblutung auf einer Seite.
Es wurden Gespräche geführt, wie weit wir als Eltern bei der intensivmedizinischen Behandlung gehen würden, es gab Informationen, was uns noch so alles erwarten kann und was die schon bestehenden Diagnosen bedeuten. Was genau und wann genau das alles war, ist inzwischen unter einem Schleier tief in den Erinnerungen verborgen.
Max bekam auch seinen Oktopus. Allerdings zeigte sich bis zuletzt, dass er die Kabel, Schläuche, Zugänge und Sonden doch interessanter findet als den Oktopus.
Mit den Tagen kam dann auch so etwas wie eine gewissen Routine. Eigentlich funktioniert man in solchen Momentan nur irgendwie auf Autopilot und hat gar nicht die Zeit und Kraft, sich mit der Situation intensiv auseinanderzusetzen.
Wenn man dann doch mal einem Zusammenbruch nah ist, kann man froh sein, in einem guten Krankenhaus untergebracht zu sein. Und wir hatten dieses Glück. Das medizinische und pflegerische Personal auf der Neo-Intensivstation war ausnahmslos freundlich, hilfsbereit, verständnisvoll und unterstützend. Und auch eine Psychologin gab es auf der Station, wir hatten jederzeit die Möglichkeit, uns helfen zu lassen.
Die Gespräche, die wir mit der Psychologin, aber auch mit den Ärzten und Pflegenden geführt haben, waren während der ganzen Zeit eine große Hilfe. Maximilians Papa ist dabei jemand, der oft und viel fragt. Beeindruckend war, mit welchem Fachwissen und welcher Geduld alle Fragen beantwortet wurden.
Aber nicht nur aus diesem Grund ist es beruhigend, in einem guten Krankenhaus gelandet zu sein. Es gibt vermutlich nur wenige Frühchen, bei denen es konstant nach oben geht. Eines von dieser Sorte war unser Nachbar, der fast genauso früh dran war wie Maximilian. Aber in den meisten Fällen geht es 2 Schritte nach vorne, und dann wieder 1-3 Schritte zurück. Das zermürbt zwar, aber es war gut, dass uns das schon von Anfang an immer wieder gesagt wurde. So konnten wir uns wenigstens darauf einstellen.
Und so kam es dann auch. In den ersten Tagen war die größte Sorge, die Sauerstoffsättigung in den Griff zu bekommen. Hier hatte Max tatsächlich immer wieder leichte Verbesserungen, aber dann auch wieder Rückschritte.
Die erste ernste Situation
Als wir uns dann nach fast einer Woche schon ein wenig an die Situation gewöhnt hatten, wurde es dann ernst. Seine Sättigung wurde immer schlechter, die Sauerstoffgabe immer weiter erhöht. Das ging so weit, dass trotz 100% Sauerstoffgabe keine gute Sättigung zustande kam.
Man merkte auch an den Reaktionen, dass die Situation ernst ist. Einer der Ärzte sagte uns, dass ihm jetzt nur noch ein Wunder hilft. Das mag zwar hart klingen, aber über die ganzen Monate hinweg haben wir gelernt, dass Schönreden nicht hilft. Das beste, was man für die Eltern tun kann, ist ihnen offen, aber schonend die Wahrheit zu sagen. Wir sind froh, dass das bei uns immer so war.
Beim abendlichen Schichtwechsel hat man auch gemerkt, dass die Hoffnung nicht sehr groß ist. Als die Pflegerin, die ihn nachmittags betreut hat, sich verabschiedet hat, hatte das schon etwas Endgültiges. Man merkte ihr an, wie schwer ihr der Abschied fiel.
Irgendwann fragte uns dann eine Ärztin, wann wir das letzte mal gegessen hätten. Wir müssten auch nach uns schauen, damit wir die Kraft für den langen Weg behalten. Auch das ist grundsätzlich ein sehr guter Ratschlag. Es bringt nichts, sich gleich in der ersten Zeit zu verausgaben. Der Weg kann wirklich sehr lang und steinig werden.
In unserem Fall war es wohl auch ein versteckter Hinweis, dass wir nicht mehr so richtig fit aussehen und wohl etwas Entspannung nötig haben. So sind wir also nach Hause und haben etwas gegessen. Die Nacht war dann allerdings der pure Horror. Wir haben auf dem Sofa geschlafen, damit wir nicht so tief schlafen und das Telefon hören, falls es einen Notfall gibt. So lagen wir dann, beide mit unseren Telefonen auf maximaler Lautstärke, und schliefen mehr schlecht als recht.
Während der ersten Tage hatten wir es uns angewöhnt, nach dem Aufstehen als erstes im Krankenhaus anzurufen und zu fragen, wie es Maximilian geht. Am nächsten Morgen nach der schlimmen Nacht war die Anspannung vor dem Anruf kaum zu ertragen. Dafür war die Entspannung umso größer, als wir erfuhren, dass Max sich über Nacht stabilisiert hatte. Das Wunder war also eingetreten!
In den folgenden Tagen verbesserte sich die Situation weiter. Die Sauerstöffsättigung wurde langsam besser, und so kehrte wieder so etwas ähnliches wie Routine mit täglichen Anrufen, täglichen Besuchen und täglichem Kuscheln ein. Natürlich mit einer gesunden Sorge, da wir gelernt hatten, dass der Tubus auch nicht allzu lange drin bleiben sollte.
Aufgrund von Corona war es übrigens so, dass die Eltern eigentlich nicht zusammen auf die Station durften. Wir hatten jedoch aufgrund der kritischen Situation eine Ausnahmebescheinigung, so dass wir Maximilian doch zusammen besuchen durften.
Eines Tages, als es um die Verlängerung des Passierscheins ging, sagte uns die Pflegerin, dass sie eine schlechte Nachricht habe. Wir dürften nicht mehr zusammen zu Besuch kommen. Unsere Reaktion hat sie wohl überrascht: Freudestrahlende Eltern, die mit einem High Five reagieren, hat sie nicht erwartet. Aber für uns war das einfach ein Zeichen, dass Max nicht mehr in einer kritischen Phase ist.
Am 6. April war es dann soweit, Max konnte extubiert werden. Neben aller Freude über diesen Erfolg macht man sich dann natürlich auch gleich wieder Sorgen: Geht da alles gut? Bekommt er ohne Tubus genug Sauerstoff? Geht die Sättigung gleich wieder in den Keller? Aber Max hat es gut verkraftet.
Bis zur nächsten Infektion. Infektionen scheinen bei Frühchen zum Standardprogramm zu gehören, gefährlich sind sie dennoch. Max bekam also wieder 3 Antibiotika, um alle erwartbaren Keime abzudecken. Die Infektion setzte ihm aber trotzdem so sehr zu, dass er wieder intubiert werden musste. 2 Schritte vor, 3 Schritte zurück!
Glücklicherweise erholte Max sich schnell von der Infektion und konnte so nach 3 Tagen schon wieder extubiert werden.
Zwischendurch gab es auch immer wieder Ultraschalluntersuchungen des Kopfes. Die Hirnblutung auf der einen Seite hatte den höchsten Schweregrad, auf der anderen Seite war auch noch eine Blutung 1. Grades hinzugekommen. Zum Glück konnte das Nervenwasser aber immer abfließen, so dass während der ganzen Zeit nie ein Shunt nötig war.
Dass Einschränkungen in Folge der Hirnblutung kommen können, war uns klar. Die Ärzte glaubten, dass aufgrund der Position der Hirnblutung motorische Einschränkungen wahrscheinlich sein würden. Genaueres kann man aber in so einer frühen Phase noch nicht sagen. Hirnblutungen brauchen, wie so vieles andere bei Frühchen, sehr geduldige Eltern.
Eine zweite wiederkehrende Routine wurden die wöchentlichen oder vierzehntägigen Besuche des Augenarztes. Insbesondere bei beatmeten Frühchen kommt es häufig zur Retinopathie des Frühgeborenen (ROP). Dies ist eine Erkrankung, bei der die Gefäße im Auge anfangen zu wuchern, was im schlimmsten Fall zur Ablösung der Netzhaut führen kann.
Glücklicherweise gibt es dagegen inzwischen sehr gute Behandlungsmöglichkeiten. Die Untersuchung selbst ist aber gruselig, und uns als Eltern wurde empfohlen, das nicht mit anzuschauen. Gehört hat man es aber trotzdem, auch bei geschlossener Zimmertüre.
Die ersten Untersuchungen waren durchweg positiv, die kritische Phase beginnt aber eigentlich erst, wenn die Sauerstoffgabe reduziert wird. Und so kam es dann auch, dass Max irgendwann auch bei der Retinopathie zugriff. Als ob alles andere nicht schon gereicht hätte.
Die Behandlung ist eine OP, bei der ein Medikament in jedes Auge gespritzt wird. Es klingt noch schlimmer als die Untersuchung, aber es hilft wirklich gut. Und besser als eine abgelöste Netzhaut ist es definitiv. So hat Max auch diese Hürde tapfer genommen.
Die zweite ernste Situation
Irgendwann war es dann wohl mal wieder Zeit für eine Infektion. Auch wenn wir das schon kannten, war es trotzdem wieder ein Rückschlag für uns. Wir hofften aber, dass es genauso gut ausgeht wie die vorigen Infektionen. Doch diesmal sollte es anders sein.
Trotz Antibiotika ging der CRP-Wert nicht nachhaltig runter. Er blieb auf einem relativ hohen Niveau. Es musste also noch etwas anderes dahinterstecken. Wir hatten also wieder eine ernste Lage. Noch ein paar Schritte zurück.
Der Verdacht fiel relativ schnell auf den Verdauuungstrakt, genauer auf eine nekrotisierende Enterokolitis (NEC). Das schlimme an solchen Darmerkrankungen ist ja, dass der Darm relativ schnell abstirbt und so sehr schnell eine lebensbedrohliche Situation eintreten kann.
In solchen kritischen Situationen kommt es vor, dass sich gewisse Bilder ins Hirn einbrennen. Wir sehen bis heute vor unseren Augen, wie einer der Ärzte stundenlang an Max‘ Bett stand, grübelnd und überlegend, immer wieder untersuchend, immer wieder Kollegen aus der Radiologie und Kinderchirurgie zur Hilfe holend. Man sah ihn förmlich denken. Es ergab sich aber kein klares Bild.
Bis zum nächsten Morgen. Da zeigte sich im Bauchraum freie Flüssigkeit im Ultraschallbild, anscheinend ein Indiz, dass es sich tatsächlich um eine NEC handelt. Und das bedeutete, dass eine Bauch-OP anstand.
Wir standen also am Wärmebett, schauten unseren Maximilian an und sprachen ihm Mut zu, während das Team der Kinderchirurgie einen kompletten Operationssaal in seinem Zimmer aufbaute. Max war zu schwach, um ihn in die Kinderchirurgie zu bringen, also sollte er vor Ort operiert werden.
Irgendwann war es dann soweit, es war alles vorbereitet, und wir verließen das Zimmer und das Krankenhaus. Es hieß, dass der Eingriff ungefähr 2 Stunden gehen wird, es aber auch länger dauern könnte.
Zuhause saßen wir dann wieder mal nervös auf dem Sofa und warteten auf einen Anruf. Als dann schon nach einer Stunde das Telefon klingelte, erwarteten wir das Schlimmste. Wenn es so schnell geht, muss etwas passiert sein. Doch der Anästhesist, der am Telefon war, beruhigte uns sofort. Es sei alles gut verlaufen, der Chirurg beendet gerade die Operation, wir können herkommen.
Und wir kamen her, erleichtert und uns auf unseren Maximilian freuend. Als wir ein paar Minuten später ankamen, war er sogar schon wach. Es ist erstaunlich, was solch kleine Kinder aushalten können.
Das Gespräch mit dem Chirurgen war dann auch sehr positiv. Er musste ein paar cm des Dünndarms entfernen, die bereits komplett abgestorben waren. Der Darm wurde wohl nur noch vom Bauchfell zusammengehalten. „Heute ist ein guter Tag für Maximilian.“ Diesen Satz werden wir wohl nie vergessen. Inzwischen verstehen wir aber, dass das die Wahrheit war.
Maximilian mit Stoma
So begann dann die nächste Phase, die Ileostoma-Phase. Es ist eigentlich eine gruselige Vorstellung, dass die Darmenden außen an der Bauchoberfläche festgenäht werden. Aber auch daran gewöhnt man sich.
Wir lernten nun, wie man einen Stomabeutel leert. Eigentlich ist das gar nicht so schwer. Da das Stoma nur für ein paar Wochen vorgesehen war, blieb es uns erspart, auch zu lernen, wie man den Stuhl dann weiter in den unteren Teil des Darms füllt – den unteren Schenkel befahren, wie es in der Fachsprache heißt.
Das Einfüllen erfolgt mit einem speziellen Katheter, der aus besonders weichem Material gefertig ist, damit keine Verletzungen passieren können. Hier lernten wir auch wieder etwas, und wir finden, man kann das schon fast als Skandal bezeichnen.
Eines Tages erfuhren wir nämlich, dass der Hersteller die Produktion dieser Katheter eingestellt hat. Vermutlich kann er mit anderen Produkten mehr Geld verdienen.
Die Leute auf der Neo-Intensivstation kannten solche Probleme aber schon. Es kommt anscheinend öfters vor, dass medizinische Produkte für Frühchen spontan nicht mehr hergestellt werden. In solchen Fällen müssen sie improvisieren.
In dem Fall wurde dann versucht, den Stuhl mit Magensonden einzuführen. Das ging meistens auch recht gut. Man merkt, dass die Pflegenden Erfahrung damit haben, zu improvisieren, wenn es nicht anders geht.
Wenn wir wüssten, wie der Hersteller heisst, würden wir ihn hier gerne an den Pranger stellen. Und alle anderen Hersteller, die sich so verhalten, gleich mit. Betriebswirtschaftlich mag so ein Verhalten nachvollziehbar sein. Moralisch vertretbar finden wir so etwas nicht. Aber Frühchen haben halt keine gute Lobby.
Wir gewöhnten uns auch an diese neue Situation. Zwischendurch wurde Maximilian noch verlegt, von einem 4-Bett-Zimmer auf ein 2-Bett-Zimmer. Nach ein paar Wochen war es dann tatsächlich so weit, dass der Darm zurückverlegt werden konnte. Es wäre gelogen zu sagen, dass wir nicht wieder nervös waren, aber dieser Eingriff war nicht vergleichbar mit dem vorigen. Und wie erhofft hat Max das auch gut überstanden.
So wurde alles mit der Zeit immer besser, und eines Tages, nach mehr als 3 Monaten auf der Neo-Intensivstation, kam der Tag, an dem wir auf die normale Station verlegt wurden.
Maximilian auf der normalen Station
Und so ergab es sich, dass wir ganz überraschend am Morgen erfuhren, dass wir mittags umziehen. Wieder so ein Moment, in dem man nervös wird. Der Unterschied zwischen der Intensivstation und der normalen Station ist ja die Beatmung. Das bedeutete also, dass Maximilian kein Beatmungsgerät mehr brauchte und auch keines mehr neben seinem Bettchen stehen hat.
Diese Sicherheit plötzlich zu verlieren, ist schwer. Auch wenn Max vorher schon eine Weile nicht mehr an die Beatmung angeschlossen war, war es dennoch beruhigend zu wissen, dass das Gerät da ist.
Aber wir wussten inzwischen auch, dass auf die Kompetenz der Ärzte und Pflegenden Verlass ist. Wenn die sagen, dass das geht, dann geht das auch. Und es ging natürlich.
Und so kamen wir in die neue Situation auf der normalen Station. Es ist für viele Eltern zunächst ein Kulturschock. Auf der Intensivstation haben die Pflegenden ein oder maximal zwei Babys zu versorgen, auf der normalen Station können es auch mal 4 oder 6 Babys sein.
Viele fühlen sich da erst mal etwas „vernachlässigt“, da man es ja gewohnt ist, immer jemanden um sich zu haben, dem man vertraut. Und auf einmal ist man mehr auf sich gestellt.
Wir haben von Anfang an versucht, das anders zu sehen. Es war ja nicht so, dass Maximilian weniger Aufmerksamkeit bekam, obwohl er noch welche brauchte, sondern weil er sie nicht mehr brauchte.
Und auch auf der normalen Station war es eigentlich immer so, dass jemand in der Nähe war. Man hat sich nie allein oder unterversorgt gefühlt.
So gingen noch einmal einige Wochen ins Land, und schließlich stand dann die Entlassung bevor.
Rooming-In
Um sich an die Situation zuhause zu gewöhnen und wirklich komplett für sein Kind verantwortlich zu sein, gab es auf der Station sogenannte Rooming-In-Zimmer. In diesem Zimmern stand ein Klappbett, so dass ein Elternteil dort mit übernachten konnte.
Man konnte unter der Aufsicht der erfahrenen Pflegekräfte üben, wie es ist, wenn man den ganzen Tag und die ganze Nacht für sein Baby da ist. Natürlich ist das nochmal etwas ganz anderes als daheim, aber es hilft vor allem für die eigene Sicherheit.
Maximilian kommt nach Hause
Nach 134 Tagen kam dann der große Tag: Maximilian durfte nach Hause! Wie bei jeder Änderung war auch das ein guter Grund, ein wenig nervös zu werden.
Unser Krankenhaus hat allerdings eine Einrichtung, die es den Eltern sehr erleichtert, wenn es nach Hause geht: Das Entlassmanagement! Unsere Entlassmanagerin kümmerte sich wirklich um alles! Die Kommunikation mit der Krankenversicherung, mit der Kinderärztin, die Besorgung aller Medikamente und Hilfsmittel, die man benötigt.
Auch in den folgenden Monaten blieb uns die Entlassmanagerin erhalten und kümmerte sich weiter um alles, was man als Frühcheneltern so braucht. Sei es der Antrag bei der Pflegeversicherung, der Kontakt zum Gesundheitsamt oder was auch immer man sich vorstellen kann.
Oder auch nicht vorstellen kann, von vielen Dingen, die man beachten muss oder auf die man Anspruch hat, wussten wir vorher nichts. Von daher sind wir wirklich froh, dass es das Entlassmanagement gab.
Der Alltag zuhause pendelte sich auch relativ schnell ein. Man hat ja doch viel Programm. Mehrmals täglich Medikamente geben, Inhalation, Essen mit und ohne Magensonde, Spazierengehen. So geht der Tag auch recht schnell vorbei.
Maximilian ist zurück im Krankenhaus
Nach einiger Zeit war es dann soweit, dass ein Medikament kontrolliert abgesetzt werden sollte. Hierzu waren nochmal 1 bis 2 Nächte im Rooming-In-Zimmer vorgesehen. Doch es kam ein wenig anders.
Nach der Aufnahme, dem Einzug ins Zimmer und dem Anschließen der Überwachung zeigte sich in den nächsten Stunden, dass die Sauerstoffsättigung bei Maximilian nicht so gut war. Sie fiel teilweise unter 80%. Das war zum einen überraschend, da es absolut keine Anzeichen dafür gab. Zum anderen aber auch bedenklich. Hatte er die ganze Zeit schon schlecht gesättigt? Und was ist jetzt zu tun?
Aus den 1-2 Nächten wurden dann 5 Nächte. Das Medikament wurde wieder gegeben. Es sollte später nochmal ein Versuch gestartet werden, es abzusetzen. Trotzdem wurde die Sättigung nicht wirklich besser.
Also musste Sauerstoff und Überwachung für zuhause beschafft werden. Wieder so ein Fall für unsere Entlassmanagerin. Da das aber ein paar Tage dauerte, mussten Maximilian und seine Mutter so lange im Krankenhaus bleiben. Eine sehr belastende Situation für beide.
Schließlich hatten wir den Sauerstoff und den Vitalmonitor, und Maximilian konnte wieder heim. Anfangs bekam er fast durchgehend Sauerstoff, um seine Sättigung über 93% zu halten. Es wurde nach vielen Wochen dann aber zumindest so viel besser, dass er nur beim Schlafen Sauerstoff brauchte.
Dann kam der zweite Versuch, das Medikament abzusetzen. Und dieses mal klappte es auch. Ein Punkt weniger auf der Liste der täglichen Aufgaben. Ein Medikament weniger.
Dafür gab es dann den ersten Termin im Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ). Natürlich waren die Ergebnisse nicht so gut, wie man es sich erhofft hätte. Seine Hirnblutung zeigte sich bereits in den motorischen Fähigkeiten.
Wir machten natürlich schon seit seiner ersten Zeit im Krankenhaus Physiotherapie mit ihm. Nun kam aber auf Anordnung vom SPZ noch Vojta-Therapie dazu. Wir hatten bisher nur davon gehört, und was wir gehört hatten, klang nicht gut.
Babys schreien wie am Spieß, wenn sie Vojta-Therapie machen. Es ist eine wahnsinnige Belastung für die Eltern und das Kind. Das waren so ungefähr die Dinge, die wir gehört hatten. Und teilweise stimmt das auch.
Maximilian schreit fast immer bei der Vojta-Therapie. Unser Physiotherapeutin hat uns aber erklärt, dass dies nur aufgrund der Anstrengung so ist, nicht wegen Schmerzen. Und dass Vojta-Therapie die einzige Therapie ist, die in seinem Fall helfen kann, die Folgen der Hirnblutung zu verringern.
Also macht man Vojta-Therapie mit seinem Kind. Der Gedanke, dass es ihm hilft, lässt einen die Schreie besser aushalten. Gerade am Anfang ist es dennoch belastend, vor allem, wenn man es mehrmals täglich machen muss. Wir machen es 3 mal täglich.
Inzwischen hat sich Maximililan daran gewöhnt, er schreit zwar immer noch, lacht aber zwischendruch auch und freut sich. Das zeigt uns, dass es wirklich keine Schmerzensschreie sind. Und er ist so clever, dass er für jede Übung und jede Art der Ausführung relativ schnell Gegenmaßnahmen entwickelt.
So liegt er manchmal nur da und schaut einen an, als ob er fragen wollte, ob man bald mal fertig ist. Oder er windet sich kunstvoll aus den Griffen heraus und freut sich darüber.
Wir merken inzwischen auch schon, dass es ihm wirklich hilft. Die Verbesserungen kann man tatsächlich sehen. Und man sieht auch, dass man am Ball bleiben muss. Wenn man wegen einer Imfpung mal ein paar Tage Pause machen muss, merkt man schnell, dass die positive Entwicklung nicht weitergeht.
Wir können also aus unserer Erfahrung nur sagen, dass Vojta hilft, und dass es nicht so schlimm ist, wie die Gerüchte oft sagen.
Wie geht es Maximilian heute?
Maximilian hat morgen seinen ersten Geburtstag. Es geht ihm sehr gut, vor allem, wenn man seinen schweren Start im Hinterkopf behält. Er braucht jetzt schon seit über 2 Monaten gar keinen Sauerstoff mehr und sättigt nachts im Durchschnitt zwischen 96% und 97%.
Dass er motorische Probleme mit einem Arm und der Hand hat, sieht man zwar deutlich, aber durch die Vojta-Therapie sehen wir auch schon Verbesserungen.
Wir wissen natürlich auch, dass noch ein langer und vielleicht manchmal auch schwerer Weg vor uns liegt. Aber die schwersten Phasen haben wir schon geschafft, davon sind wir überzeugt. Und was noch vor uns liegt, werden wir genauso schaffen. Max ist ein Kämpfer, das hat er schon oft bewiesen.
Das wichtigste ist aber, dass Maximilian ein glückliches und zufriedenes Baby ist. Er lacht wahnsinnig gerne, freut sich am Leben und ist neugierig auf alles. Der harte Kampf hat sich sowohl für ihn als auch für uns, seine Eltern, mehr als gelohnt.
Auch wenn es insgesamt eine wirklich schwere Zeit war, so können wir auch sagen, dass wir auch viel Positives mitgenommen haben. Wir haben neue Freunde gefunden, so auch Valentina und ihre Eltern, mit denen wir die Frühchenwelt ins Leben gerufen haben.
Und wir haben so viel Neues gelernt, was wir uns vorher nicht vorstellen konnten. Nicht nur Fachliches über die moderne Medizin und deren Möglichkeiten, sondern auch darüber, wie stark man selbst und vor allem auch so unglaublich kleine Kinder sein können.
Hallo!
Mein Sohn wurde bei 23+1 am 15.03.2019 geboren und ich erkenne unsere Geschichte in ganz vielen Punkten wieder.
Macht Vojta es bringt soviel.
Hallo Nadine!
Vielen Dank für Deinen Kommentar! Übrigens der erste auf unserem Blog – ein kleiner Grund zu feiern! Da haben unsere kleinen Helden ja ganz ähnliche Startvoraussetzungen gehabt. Wir hoffen, es geht dem kleinen Mann soweit gut und dass er sich prima entwickelt. Bei Votja bleiben wir auf jeden Fall am Ball, auch wenn es manchmal hart ist. Max ist sehr kreativ, was Ausweichtechniken angeht. Bei jedem neuen Griff, den wir probieren, hat er 2-3 Tage später schon ein Gegenmittel. Wir merken aber auch schon, dass es etwas bringt. Das motiviert einen dann auch, da wirklich weiterzumachen und es nicht schleifen zu lassen. Aber es motiviert natürlich zusätzlich, wenn man hört, dass es anderen Eltern auch etwas bringt. Von daher freuen wir uns sehr über Deine Worte!