Frühchengeschichte: Nele Sophie, 26. SSW

Heute haben wir eine ganz besondere Frühchengeschichte über eine ganz besondere Frau. Es ist unsere erste Frühchengeschichte, die nicht von den Eltern, sondern vom Frühchen selbst erzählt wird. Nele Sophie kam viel zu früh auf die Welt und hatte mit vielen schweren Problemen zu kämpfen.

Umso mehr freuen wir uns, zu sehen, dass sie zu einer bewunderswerten und tapferen jungen Frau herangewachsen ist. Ihre Geschichte lässt einen staunen und macht Mut, da sie sich durch alle Probleme und Herausforderungen, die das Leben ihr gegeben hat, durchgekämpft hat.

Sie ist auch sehr aktiv auf Instagram und erzählt dort von ihrem Alltag und ihrer Vergangenheit und Gegenwart als ehemaliges Frühchen. Folgt ihr gerne, es lohnt sich! Den Link zu ihrem Profil findet ihr ganz am Ende der Geschichte.

Die Heldin dieser Geschichte

Name
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🗓

Nele Sophie
18.04.2001
26. SSW
33 cm
650 g

Hallo, ich bin Nele. Zwischen den beiden Bildern oben liegen 20 Jahre. Ich wurde am 18.04.2001 als Frühgeborenes in der 26. Schwangerschaftswoche per Notkaiserschnitt geboren. Meine Mutter hatte leider das HELLP-Syndrom entwickelt.

Das HELLP-Syndrom ist eine schwere Form der sogenannten Schwangerschaftsvergiftung oder Präeklampsie. Die Erkrankung stellt eine sehr hohe Gefahr für Mutter und Kind dar.

Sie verursacht die Auflösung von roten Blutkörperchen, erhöht die Leberwerte, verursacht Wassereinlagerungen, vermindert die Anzahl an Blutplättchen und so weiter.

Wird das HELLP-Syndrom nicht erkannt und entsprechend darauf reagiert, kann es für Mutter und Kind lebensbedrohlich werden. Nach der Diagnose ist in den meisten Fällen eine rasche Entbindung notwendig.

Neles Geburt

Bei der Geburt war ich 33 cm lang und wog 650g. Ganze 23 Tage musste ich invasiv beatmet werden. Aufgrund der Unreife der Hirngefäße traten bei mir beidseitige Hirnblutungen dritten Grades auf.

Als ich 2 Wochen alt war, teilten die Ärzte meinen Eltern mit, dass ich es nicht schaffen werde. Meine Mutter und mein Vater waren darüber natürlich sehr traurig.

Sie überließen aber mir die Entscheidung, wie es weitergehen sollte. Wenn ich leben möchte, werde ich es packen und wenn nicht, dann werde ich sterben.

Dieses Senario macht mich heute noch traurig. Währenddessen musste meine Mutter selber um ihr Leben auf der Intensivstation kämpfen. Die Folgen des HELLP-Syndroms waren gravierend. Und mein Vater musste um uns beide Angst haben.

Aber ich bin die Nele und ich schaffte es, zu überleben! 3 Monate nach meiner Geburt wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen.

Natürlich fragten sich meine Eltern, ob ich eine Behinderung haben werde. Die Ärzte bejahten die Frage jedes Mal ganz eindeutig.

Nele nach dem Krankenhaus

Im ersten Lebensjahr konnte ich jede Art von Aufregung überhaupt nicht vertragen. Selbst ein Besuch im Supermarkt bekam mir nicht gut. Als meine Mutter das feststellte, hat sie meinen Tagesablauf fest durchstrukturiert. Ich hatte ab dann feste Essens- und Schlafenszeiten. Nach einigen Monaten fühlte ich mich aber sicherer. Ich fing an, die Welt zu erkunden.

Meine Entwicklung war verzögert, ich lernte erst mit 22 Monaten das Laufen. Noch heute habe ich manchmal Schwierigkeiten. Wenn ich beispielsweise Treppenlaufen muss und dabei etwas in der Hand halte, schwanke ich hin und her.

Mit 4 Jahren kam ich in einen inklusiven Kindergarten für Kinder mit körperlichen und geistigen Einschränkungen. Es hat sehr gut geklappt. Ebenso erhielt ich in den ersten Jahren eine Frühförderung.

Als Kind benötigte ich Orthesen und orthopädische Einlagen. Meine Eltern haben immer mitgefiebert, ob ich den nächsten Entwicklungsschritt wohl noch mache. Sie haben mich und den Entwicklungsschritt dann ordentlich gefeiert, wenn er kam!

In der Förderschule hatte ich Reittherapie, Krankengymnastik, Ergotherapie und Schwimmen. Heute mache ich viel Sport, das hilft mir die Spastiken in beiden Beinen deutlich zu minimieren.

Als Kleinkind musste bis zur meiner Augenoperation abwechselnd Augenpflaster tragen, damit das Schielen sich verbessert.

Nele in der Schule

Zuerst besuchte ich eine Vorschule, die eine Förderschule für körperlich und geistig eingeschränkte Kinder war. Danach kam ich auf eine Grundschule und anschließend auf eine weiterführende Regelschule. Ich habe mich auch vergeblich am Fachabi versucht. Zur Zeit mache ich eine Ausbildung zur Bürokauffrau und wohne in einer WG.

In meiner Regelschulzeit habe ich leider bis zur 9. Klasse Mobbing erfahren. Teilweise war es so schlimm, dass ich Selbstmordgedanken hatte. Zu Geburtstagen wurde ich fast nie eingeladen.

Nele strahlt in der Sonne

Ich hatte immer Angst, in die Schule zu gehen, und hatte deshalb öfters Bauchschmerzen. Ich habe mich oft einsam gefühlt, da niemand in den Pausen und nach der Schule ewas mit mir unternehmen wollte. Deshalb weinte ich viel und oft.

Bei den Gruppenarbeiten war ich nie in einer Gruppe, da niemand mit mir zu tun haben wollte. Deshalb habe ich alleine die Aufgaben erledigt. Mathe fiel mir schwer, ich war auch immer langsamer als die anderen. Deshalb habe ich auch Bonuszeit bekommen, was für die Mitschüler ein gefundenes Fressen war.

Im Sportunterricht konnte ich nicht gut balancieren oder Parcours laufen, da ich Gleichgewichtsprobleme habe. Das war ziemlich frustrierend für mich, weil ich es nicht wie die anderen hinbekommen habe. Ich wurde immer als letzte gewählt, da ich immer zu langsam war und die Gruppe dann logischerweise verlor.

Zum Glück hatte ich einen rücksichtsvollen Sportlehrer. Manchmal war es aber sehr unangenehm für mich, da ich mich durch die Rücksichtnahme schlecht und minderwertig gefühlt habe.

Aber dank der wenigen Freunde, die ich hatte, war meine Schulzeit dann doch noch erträglich. Die Lehrer waren auch sehr verständnisvoll und haben mich unterstützt, wo es möglich war.

Ich denke dabei besonders an meine Deutschlehrerin und meinen damaligen Klassenlehrer. Ich konnte mich immer mit meinen Problemen an sie wenden. Selbstverständlich stand auch meine Familie immer hinter mir. Danke euch allen!

Neles Freizeit heute

Ein paar Wörter zu meinen Hobbys möchte ich auch noch sagen. Ich lese sehr gerne und schaue Serien beim Netflix. Ich habe einen Hund, mit dem ich gern spazieren gehe, mit ihm kuschele oder spiele.

Nele mag Hunde

Was kreatives mit meinen Händen zu machen, wie z.B. Schlüsselanhänger fertigen oder Armbänder knüpfen, macht mir auch Spaß. Ich gehe ab und zu auch auf Partys und liebe es, Cocktails oder Longdrinks zu trinken.

Neles Einschränkungen

Rückschläge gehören zum Leben dazu! Davon hatte ich auch einige.

Leider darf ich wegen meinem eingeschränkten Sichtfeld und dem Tunnelblick keinen Führerschein machen. Das war sehr schwer für mich zu akzeptieren, da das Autofahren für mich ein Stück Unabhängigkeit bedeutet. Aber jetzt haben wir eine gute Lösung gefunden, ich habe jetzt ein E-Bike.

Da ich mein Führerschein nicht machen konnte, ist mein Berufstraum von Rettungssanitäter geplatzt. Es fühlte sich wie ein Schlag ins Gesicht“ an, da ich schon angefangen hatte, mich zu bewerben. Dann dachte ich mir, dass es eben nicht sein soll.

Jetzt bin ich sehr glücklich mit der Entscheidung für die Ausbildung als Bürokauffrau. Und ehrenamtlich bei den Maltersern aktiv zu sein, macht mir weiterhin viel Spaß.

Zu den schwierigen Stellen meines Lebens zähle ich zum Beispiel die Aufenthalte in der Psychosomatischen Klinik. In der Zeit konzentriere ich mich sehr auf die Therapien und darauf, dass es mir wieder besser geht.

Ich möchte euch noch sagen, dass ihr an eure Träume glauben sollt. Lasst euch von manchen Diagnosen nicht entmutigen, denn es ist vieles möglich und Wunder geschehen schließlich immer wieder!

Falls es nicht so gut im Leben läuft und ihr mal hinfallt, dann steht auf, richtet eure Krone und geht weiter euren Weg. Durch die Erfahrungen, die ich gemacht habe, bin ich stärker geworden und habe viel gelernt. Ich möchte es jetzt anders machen und für mein Recht einstehen.

Ich hoffe, ich konnte mit meiner Geschichte dem einen oder anderen Elternpaar und anderen Frühchenkindern Mut machen! Wenn ja, dann habe ich schon viel erreicht!

Auf Instagram erzähle ich euch mehr aus meinem Leben und meiner Geschichte. Ich würde mich freuen, wenn ihr mir dort folgt und an meinem Leben und meiner Geschichte teilhaben möchtet.

In eigener Sache

Wir hatten das Glück, dass es zu der Zeit, als wir unsere Frühchen bekommen haben, noch weitere Frühchen auf der Neonatologie gab. So sind wir in Kontakt mit anderen Eltern gekommen, konnten uns austauschen und tun dies auch heute noch.

Es ist nicht nur für die Eltern selbst hilfreich, sich mit anderen Frühcheneltern auszutauschen, die ihre Sorgen und Nöte nachvollziehen können. Es hilft auch einfach, zu lernen, dass man nicht allein ist.

Falls ihr also selbst Frühcheneltern seid und eure Geschichte teilen möchtet, um damit vielleicht anderen Eltern zu helfen – oder euch die Sorgen von der Seele zu reden, kontaktiert uns sehr gerne.

Und falls ihr selbst ehemalige Frühchen seid und uns eure Erfahrungen, Erinnerungen und Erlebnisse schildern möchtet, freuen wir uns ebenso sehr.

Wir freuen uns über jede Frühchengeschichte, die wir mit der Welt teilen können! Egal, ob aus Sicht der Eltern oder aus der Sicht des ehemaligen Frühchens erzählt.

Ihr müsst dazu auch kein großes schriftstellerisches Talent haben. Wir helfen euch gerne dabei, eure Geschichte so zu erzählen, wie ihr sie erzählen möchtet.

Und es ist auch kein Problem, mit Pseudonymen zu arbeiten, wenn ihr die echten Namen nicht verwenden möchtet.

Auch über Fotos müsst ihr euch keine Gedanken machen. Wir können eure Fotos so anonymisieren, dass ihr und eure Kinder darauf nicht zu erkennen sind. Und es ist auch gar nicht notwendig, eure Gesichter zu zeigen, wenn ihr das nicht möchtet.

Die Frühchengeschichten sprechen normalerweise für sich selbst.

Solltet ihr also Interesse haben, könnt ihr uns gerne anschreiben. Und falls ihr noch am Zweifeln seid: Es ist euch auch niemand böse, wenn ihr es euch im letzten Moment doch noch anders überlegt und eure Geschichte nicht veröffentlicht werden soll.

Die Frühchenwelt soll eine Hilfe für Frühcheneltern und auch für ehemalige Frühchen selbst sein. Das ist unser wichtigstes Anliegen und dafür betreiben wir die Seite.

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